Die Argumentation ist häufig identisch: Hohe Umweltstandards, hohe Löhne, gute Arbeitsbedingungen – all diese Werte, für die Parlamente jahrzehntelang gestritten haben, gelten aus Sicht einiger Marktgläubiger als Handelshemmnisse.
Verfolgt man die eine oder andere Diskussion zu den geplanten Handelsabkommen der Europäischen Union mit Kanada (CETA) und den USA (TTIP), so findet sich diese Haltung immer wieder offen ausgesprochen bzw. mittelbar im Kontext der Begründung für entsprechende Abkommen. Es geht dabei um sehr grundsätzliche demokratietheoretische Fragestellungen. In einer globalisierten Welt treten nationale Sichtweisen in den Hintergrund. Das ist z.B. gerade im Bereich der Klimapolitik auch notwendig, da die Aufgabe des Klimaschutzes national in keiner Weise ausreichend bewältigt werden könnte. Allerdings zeigen demgegenüber nicht nur die jahrelangen ergebnislosen Verhandlungen über ein neues Klimaschutzabkommen die Unfähigkeit der internationalen Staatengemeinschaft auf, gerade auch Herausforderungen im Bereich der Umwelt- und Energiepolitik international wirkungsvoll anzugehen. Vereinbarungen zwischen Staaten, Gemeinschaften in Form von Allianzen und Verträge auf Ebene der UN können demgegenüber wirkungsvolle Instrumente sein. Aber beinhalten TTIP und CETA diese positiven Ansätze?
Bislang kann nicht seriös beurteilt werden, ob es positive Ansätze in den Abkommen gibt, die den eingangs skizzierten Herausforderungen gerecht werden können. Nach den bislang bekannten Verhandlungsgegenständen muss das jedoch bezweifelt werden und zwar aus mehreren Gründen:
1. Intransparenz der Verhandlungen
Die Art und Weise der bisherigen Verhandlungen lassen den Schluss zu, dass bestimmte Verhandlungskomplexe ganz bewusst unter Einhaltung strengster Vertraulichkeit besprochen werden sollen, um frühzeitiger Kritik aus dem Wege zu gehen. Das Misstrauen findet somit eine berechtigte Grundlage. Doch wovor haben die Verhandlungskreise Angst? Jeder Parlamentarier weiß um die große Sensibilität der Bevölkerung, wenn es z.B. um die Komplexe grüne Gentechnik oder Fracking geht. Soll hier der Widerstand, der sich gerade auch bei gewählten Volksvertretern ergeben würde, ausgebremst werden?
2. Primäres Ziel: Abbau von Handelshemmnissen
Der Markt ist nicht nachhaltig. Die globale Finanzindustrie hat in den vergangenen Jahren bewiesen, dass der Begriff der Nachhaltigkeit in diesem Bereich häufig ein Fremdwort ist. Schnelles Renditedenken verdeckte offenbar den Blick auf langfristige Folgen. Gewinne wurden gnadenlos mitgenommen, die Verluste auf die Allgemeinheit umgelegt. Auch im Bereich der Umwelt- und Energiepolitik erleben wir, dass Langfristfolgen nicht beachtet werden. Wir setzen seit Jahrzehnten auf Atomenergie, ohne auch nur ein Entsorgungskonzept weltweit vorzuhalten. Der Ruf nach „billiger Energie“ ertönt, ohne die Endlichkeit bestimmter Energieträger im Blick zu haben. Volkswirtschaftliche Kosten, die durch Atomkatastrophen, Klimafolgen oder Wetterextreme entstehen, werden in Preisdiskussionen über den Auf- und Ausbau Erneuerbarer Energiequellen nicht berücksichtigt. Es ist also fraglich, ob das Hauptziel des verstärkten Handels und des „Wachstums“ geeignete Parameter eines solchen Abkommens sein können und sein dürfen. Wie wäre es, wenn man vielmehr Nachhaltigkeitskriterien als Hauptgegenstand der Verhandlungen wählen würde? In der Vergangenheit waren es Gesetze, die Grenzen setzten und Standards garantierten. Gerade diese Schranken sollen aber wohl beseitigt werden.
3. Grundsätzlich andere Auffassungen
Im Bereich der Umwelt- und Energiepolitik existieren zwischen der Europäischen Union und den USA sowie Kanada fundamentale Unterschiede. Die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Bereiche grüne Gentechnik, Landwirtschaft und Energiewirtschaft sind nicht vergleichbar, auch wenn die Europäische Union schon intern ausreichende Konfliktpotentiale hat. Wenn nun die Angleichung von Systemen beabsichtigt wird, droht die Gefahr, dass auf der einen Seite Standards abgesenkt, auf der anderen Standards erhöht werden. Logische Konsequenz ist meistens, dass es bei den derzeitigen Standards also nicht bleibt. Mag bei der Arzneimittelzulassung der Standard in den USA höher sein, so muss im Bereich der Umweltstandards vom Gegenteil ausgegangen werden. Die Beteuerungen, es werde für Europa im Bereich der Umweltpolitik zu keinen Standardabsenkungen kommen, droht somit zum Lippenbekenntnis zu werden.
4. Schiedsgerichtsbarkeit
Anlass zu großer Sorge bereitet vor allem der parallele Aufbau einer Schiedsgerichtsbarkeit, die die Kompetenzen der ordentlichen – unabhängigen – Gerichtsbarkeit aushebelt. Die Klage von Vattenfall gegen die Bundesrepublik Deutschland angesichts des Atomausstiegsbeschlusses belegt aktuell die Entwicklung. Gewählte Volksvertreter müssen in die Geheimschutzstelle des Bundestages, um über Verfahrensberichte des aktuellen Schiedsgerichtsverfahrens überhaupt Informationen zu erhalten. Warum kann der Aspekt der Investitionssicherheit bzw. des Investitionsschutzes nicht in einem ordentlichen Gerichtsverfahren geltend gemacht werden. Möglicherweise machen derartige Schiedsverfahren in Staaten Sinn, in denen von einer unabhängigen Justiz nicht ausgegangen werden kann. Auf die Vertragspartner Europäische Union/USA/Kanada trifft das jedoch nicht zu, so dass auch insoweit wieder vermutet werden muss, dass erneut all die Instrumente, für die Menschen und gewählte Vertreterinnen und Vertreter seit Jahrhunderten gestritten haben, in Frage gestellt werden, um „Hemmnisse“ zu beseitigen.
Es ist also dringend angezeigt, immer wieder zu betonen, dass hohe Sozial- und Umweltstandards sowie auch eine ordentliche Gerichtsbarkeit keine Wettbewerbshemmnisse sind. Sie sind unter dem Aspekt der nachhaltigen Entwicklung vielmehr unverzichtbar. Innerhalb der Europäischen Union sollte diese Grundsatzdebatte erst einmal geführt werden, um dann eine Grundhaltung zu erreichen, die Basis für internationale Aktivitäten sein muss. Aktuell läuft die Entwicklung offenbar umgekehrt, was nicht zu akzeptieren ist.