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Offener Brief von Eckart Kuhlwein an Sigmar Gabriel: Das Europa-Wahlprogramm der SPD 2014 und Deine Haltung zu TTIP und CETA

Veröffentlicht am 21. Januar 2015

Anbei ein Offener Brief von Eckart Kuhlwein, DL21 Mitglied und unter anderem ehemaliger parlamentarischer Staatssekräter und Bundestagsabgeordneter – heute Vorsitzemdeer des Forums Umwelt der SPD in Schleswigholstein, an Sigmar Gabriel bezüglich seiner Haltung zu TTIP und Ceta.

 

 

Das Europa-Wahlprogramm der SPD 2014 und Deine Haltung zu TTIP und CETA

 

Lieber Sigmar,

 

wir haben auf dem Bundesparteitag in Berlin am 26. Januar 2014 ein Europa-Programm beschlossen, mit dem wir in der Europa-Politik vieles besser machen wollten, um mehr Menschen für Europa und seine gemeinsamen Werte zu begeistern. Europa sollte nicht mehr kleinteilige Regeln von oben nach unten vorgeben, sollte bürgernäher und für die Menschen durchschaubarer werden, sollte „mehr Demokratie wagen“. Das Versprechen – das zeigt schon das erste halbe Jahr nach der Wahl – könnte vielleicht jetzt nicht eingehalten werden. Mit den von der EU-Kommission der letzten Wahlperiode (der „Bürokratie“) eingeleiteten Verhandlungen über Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP) und Kanada (CETA) und über Dienstleistungen (TISA) fährt der Zug in die falsche Richtung: Die demokratisch gewählten Parlamente könnten entmachtet, unsere hart erarbeiteten Standards für Umwelt, Verbraucher, Arbeitnehmer und Kultur in Frage gestellt werden. Ich habe in unserem beschlossenen Europa-Programm noch einmal genau nachgelesen.

 

Hier die Beispiele und meine Kommentare dazu:

 

Öffentlichkeit – Parlamentsbeteiligung – Transparenz

Im Europa-Wahlprogramm der SPD hieß es:

„Statt auf zwischenstaatliche Vereinbarungen setzen wir darauf, dass das Europäische Parlament an allen Entscheidungen umfassend beteiligt ist, auch beim europäischen Krisenmanagement. Europa muss auf diese Weise demokratisiert werden…Doch die europäische Demokratie kann nur dann neues Vertrauen gewinnen, wenn sie nicht von der EU-Bürokratie überlagert wird.“

 

Kommentar: Die Verhandlungen der EU-Kommission über TTIP, CETA und TISA sind ein Musterbeispiel für undemokratisches Vorgehen. Für TTIP haben zum Glück Whistleblower frühzeitig Texte öffentlich gemacht. CETA liegt nach einem langen Verhandlungsprozess unterschriftsreif vor, muss aber noch rechtsförmlich geprüft und in die EU-Sprachen übersetzt werden. Es gab weder eine laufende Beteiligung des EP, noch etwa eine mögliche Diskussion in der Öffentlichkeit. TISA wird weiterhin geheim verhandelt.

 

„Konzentration auf das Wesentliche“

SPD-Europa-Wahlprogramm: „Die Akzeptanz der europäischen Demokratie leidet darunter, dass viele Bürgerinnen und Bürger die europäischen Entscheidungsprozesse und die Rolle der

EU-Institutionen kaum noch nachvollziehen können und als zu bürokratisch empfinden. Deshalb wollen wir, dass sich die EU und ihre Organe auf das wirklich Wesentliche konzentrieren…Die EU muss klare und auch ambitioniertere Abbauziele für die Rückführung der Bürokratie festlegen. Auch braucht die EU ein neues Lobbygesetz mit strengeren Regeln für Lobbyisten.“

 

Kommentar: Ob diese Handels- und Investitionsabkommen zur weiteren Globalisierung der Wirtschaft zum „Wesentlichen“ gehören, ist zumindest zweifelhaft. Und sie sind den Bürgerinnen und Bürgern auch erst dann nach und nach erläutert worden, als engagierte NGOs aus der Zivilgesellschaft Alarm geschlagen haben. Aber die unkontrollierte Lobby der großen Konzerne und Wirtschaftsverbände war von Anfang an an den Verhandlungen beteiligt und hat auf die Positionspapiere Einfluss nehmen können.

 

Subsidiarität

SPD-Europa-Wahlprogramm: „Politisch bedeutet Respekt für Vielfalt in Europa, dass Aufgaben dort angepackt werden sollten, wo sie am besten politisch zu lösen sind. Die EU sollte nur das regeln, was die Städte, Kommunen, Länder oder Staaten nicht besser selbst regeln können. Wir wollen, dass sich die EU an dieses Prinzip hält. Dies ist ein Gebot der Bürgernähe.“

 

Kommentar: „Umfassende“ internationale Handels- und Investitionsabkommen, die globale Standards setzen wollen, sind das Gegenteil von Subsidiarität. Unter dem Deckmantel solcher Abkommen greift die EU tief in die Souveränität und Bürgernähe von Städten, Kommunen, Ländern oder Staaten und ihren gewählten demokratischen Vertretungen ein.

 

„Eine lebendige europäische Zivilgesellschaft“

SPD-Europa-Wahlprogramm: „Wir wollen die bestehende europäische Bürgerinitiative besser nutzen, damit Bürgerinnen und Bürger noch stärker auf die europäische Gesetzgebung einwirken können.“

 

Kommentar: Die EU-Kommission hat gerade eine Europäische Bürgerinitiative (EBI) gegen TTIP und CETA nicht zugelassen. Die SPD hat nicht dagegen protestiert oder gar Schritte bei der EU-Kommission dagegen unternommen.

 

„Vielfalt der Kommunen und Regionen“

SPD-Europa-Wahlprogramm: „Die Städte, Kommunen und Regionen sind die Orte, an denen sich die Vielfalt Europas in besonderer Weise entfaltet. Wir wollen deshalb, dass die Interessen der Kommunen und Regionen in der europäischen Politik ein noch größeres Gewicht bekommen.“

Und „Schutz der Daseinsvorsorge“

SPD-Europa-Wahlprogramm: „Nationale, regionale und lokale Besonderheiten in der öffentlichen Daseinsvorsorge müssen erhalten und geschützt werden. Die Bandbreite dieser Dienstleistungen reicht von der Grundversorgung mit Wasser und Energie über den öffentlichen Personennahverkehr bis hin zu den Bereichen Wohlfahrt, Gesundheit, öffentlich-rechtlicher Rundfunk, Internetzugang oder Kultur. Auch auf europäischer Ebene muss sichergestellt werden, dass Kommunen selber entscheiden können, wie sie ihre öffentlichen Aufgaben erbringen.“

 

Kommentar: Die Gefahr, dass mit marktradikalen Handels- und Investitionsschutzabkommen regionale, nationale oder europäisch vereinbarte Standards oder regionale bzw. kommunale „Beson-

derheiten“ ausgehöhlt werden, ist – bei allen öffentlichen Bekenntnissen – bisher nicht ausgeräumt worden. Wenn es nur um die Angleichung technischer Zulassungskriterien und –verfahren (das beliebte Beispiel ist die Farbe der Blinker an Autos) ginge, müsste nicht über „umfassende“ Handels- und Investitionsschutzabkommen verhandelt werden.

 

„Fairer Handel“

SPD-Europa-Wahlprogramm: „Wir wollen, dass die EU zum weiteren Ausbau der weltweiten Handelsbeziehungen beiträgt. Dies verbessert auch die Absatzchancen für deutsche und europäische Produkte. Eine Handelsliberalisierung darf aber nicht zum Absinken unserer rechtsstaatlichen, sozialen, ökologischen oder Standards beim Verbraucherschutz führen. Außerdem dür-

fen Freihandelsabkommen durch Regelungen zum Investitionsschutz in keinem Fall Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern oder staatliche Regulationsmöglichkeiten aushöhlen.“

 

Kommentar: Die Handelsliberalisierung bedeutet nach den bisher vorliegenden Informationen über CETA und TTIP mehr oder weniger die Angleichung der Standards oder die gegenseitige Akzeptanz von Standards. Es geht um „nicht-tarifäre Handelshemmnisse“, also nicht in erster Linie um Zölle. Auch nicht nur um die Angleichung technischer Zulassungsbedingungen.

 

Bürgerrechte

SPD-Europa-Wahlprogramm: „Zeitgleich mit den Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit den USA müssen auch substanzielle Fortschritte im Bereich des Schutzes der Privatsphäre   und der Bürgerrechte erreicht werden.“

 

Kommentar: Das sollte wohl an den Konflikt um die Ausspähung auch deutscher Bürgerinnen und Bürger durch die amerikanische NSA erinnern. Der Konflikt mit den USA um den Datenschutz ist bisher überhaupt nicht ausgeräumt. Und im Zusammenhang mit den TTIP- oder CETA-Verhandlungen wird eine befriedigende Regelung auch nicht zur Bedingung gemacht..

 

Bekenntnis zu europäischen Standards für Handelsabkommen

Europa-Wahlprogramm: „Unser Ziel bei diesen und anderen Verhandlungen ist es, möglichst fortschrittliche arbeitsrechtliche, soziale und ökologische Standards in den bilateralen und internationalen Handelsbeziehungen zu verankern. Dies ist für   uns eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen der Verhandlungen. Freihandelsabkommen dürfen auch nicht das Selbstverwaltungsrecht der Kommunen sowie öffentliche Daseinsvorsorge, Vergabe und Infrastrukturen gefährden. Die Streitschlichtung zwischen Investoren und Nationalstaaten sollte möglichst durch reguläre öffentliche Gerichte erfolgen.“

 

Kommentar: Hier stehen sozialdemokratische Selbstverständlichkeiten drin. Eine Garantie dafür, dass ihre Nichtbeachtung am Ende zum Scheitern der Verträge führen würde, hast Du als Parteivorsitzender bisher nicht gegeben. Im letzten Satz ist auf dem Bundesparteitag im Januar 2014 in Berlin habt Ihr in letzter Minute noch das Wörtchen möglichst eingefügt. Das hätte schon damals zu denken geben müssen.

 

CETA enthält bereits einen „Mechanismus zur Beilegung von Investor-Staat-Streitigkeiten“ vor außergerichtlichen Schiedsgerichten (ISDS – „Investor-State Dispute Settlement“) ohne Revisionsmöglichkeiten. Bei TTIP wird es nach den bisherigen Informationen auch angestrebt. Nach ISDS können Unternehmen Staaten auf Schadensersatz verklagen, wenn sie sich durch nationale Gesetze in ihren Gewinnerwartungen geschädigt sehen. Mit Experten (und Lobbyisten?) besetzte „Regulierungsräte“ sollen schon im Vorfeld die Gesetzgebung darauf hin überprüfen, ob sie mit der „Regulierungskohärenz“ übereinstimmt und damit den demokratisch gewählten Parlamenten die Arbeit abnehmen.

Europas Wirtschaftspolitik

Europa-Wahlprogramm: “Notwendig ist eine Neuausrichtung weg von der einseitigen Ausrichtung auf Deregulierung, Privatisierung und Liberalisierung – hin zu einer Politik, die Wachstum

und Innovation mit hoher Beschäftigung, ökologischem   Fortschritt und sozialer Gerechtigkeit verbindet.“

 

Kommentar: Die SPD hat lange gebraucht, bis sie den neoliberalen Pfad von Deregulierung und Privatisierung verlassen hat. Die Handelsabkommen wollen ihn durch die Hintertür wieder vorschreiben. Die Wachstumsprognosen (wenn man denn heute noch auf Wachstum setzen will) sind quantitativ unbedeutend, aber auch in hohem Maße umstritten. Es gibt sogar Prognosen, nach denen die Beschäftigung auch durch die Abkommen eher sinken wird. Das Nafta-Abkommen zwischen den USA, Kanada und Mexiko hat den Armen in den USA und Kanada nichts gebracht aber Tausenden von Maisbauern in Mexiko die Existenz zerstört.

 

Entwicklungspolitik und Fluchtursachen bekämpfen

Europa-Wahlprogramm: „Die Europäische Union ist weltweit mit Abstand größter Geber von Entwicklungshilfe. Durch eine enge Kooperation und Arbeitsteilung zwischen den Mitgliedstaaten   und den   EU-Institutionen leistet   Europa effiziente Entwicklungszusammenarbeit. Wir wollen sowohl die finanzielle Ausstattung als auch die Effizienz weiter unterstützen und vorantreiben. Dabei steht bei uns der Mensch mit seinen Rechten besonders auf Nahrung, Gesundheit und Bildung im Mittelpunkt…Die deutsche sowie die europäische Entwicklungszusammenarbeit müssen künftig noch stärker darauf setzen, Fluchtursachen zu bekämpfen. Die wenigsten Menschen wollen ihre Heimat verlassen. Notwendig für die Überwindung von Armut ist ein breitenwirksames, nachhaltiges Wachstum. Ungleichheiten in den Gesellschaften müssen überwunden und gute Arbeit geschaffen werden. Schwerpunkte der Entwicklungszusammenarbeit sollten dabei sein: Investitionen in landwirtschaftliche Entwicklung, Hilfen beim Auf- und Ausbau sozialer Sicherungssysteme, die Gleichstellung von Männern und Frauen und als wichtigste Voraussetzungen für Entwicklung der Zugang zu guter Bildung, Gesundheitsversorgung und Ernährung besonders in den ärmsten Ländern.“

 

Kommentar: Die damalige Doha-Runde, bei der mit der Welthandelsorganisation (WTO) weltweite Märkte geschaffen werden sollten, wurde von den Entwicklungsländern abgelehnt, die eine von der EU und den USA erfundene Entwicklungsagenda nicht wollten. Sie waren nämlich nicht damit einverstanden, dass eine Welthandelsorganisation sich nicht auf Handelsfragen beschränken sollte, sondern auch noch bindende Regeln über Investitionspolitik, Wettbewerbsrecht, die Öffnung des öffentlichen Beschaffungswesens und vieles mehr aufstellen wollte Jetzt wollen EU und USA mit TTIP und CETA ihre globale Vormachtstellung absichern. Aufstrebende Schwellen- und Entwicklungsländer sollen durch das Abkommen Marktanteile verlieren. Damit wird Entwicklungspolitik untergraben. Viele Entwicklungsländer werden die Verlierer sein. Verträge, deren Ziel es ist, globale Standards für den globalen Handel (und damit auch für die Produktion von Waren und Dienstleistungen) zu setzen, deren Wirkung also deutlich über das Gebiet der Vertragspartner hinausgeht, müssen Mitverantwortung für die Betroffenen übernehmen. Die berechtigten Interessen von Entwicklungs- und Schwellenländern müssen Berücksichtigung finden, um zu verhindern, dass diese in ihrer nationalen Souveränität und in ihren Entwicklungsmöglichkeiten beeinträchtigt werden.

 

P.S.

Ich fürchte, dass unsere SPD langfristig Schaden nimmt, wenn diese Abkommen mit unserer Unterstützung in Kraft treten. Ich möchte Dich dringend bitten, die Notbremse zu ziehen. Noch ist es Zeit, dass wir mit unserer Stimme eine verhängnisvolle Entwicklung zu noch mehr internationalem Casino-Kapitalismus stoppen.

 

gez. Eckart Kuhlwein