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Leiharbeit und Werkverträge in der Automobilindustrie

Veröffentlicht am 9. Februar 2016

von Kai Burmeister

Die Bundesregierung will Leiharbeit und Werkverträge regulieren. Der im November vorgelegte Referentenentwurf hat zu beachtlichen Reaktionen auf Seiten der Arbeitgeber geführt. So sprach Ingo Kramer, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, von einem „Großangriff auf hunderttausende Unternehmen“. Die Arbeitgeber schrecken nicht davor zurück, Nebelkerzen zu zünden.[1] Diesem Versuch ist durch Fakten zu begegnen. Das Beispiel der Automobilindustrie zeigt, wie prekäre Beschäftigung heute genutzt wird, um Tarifverträge zu umgehen.

Leiharbeit heute

In den letzten 12 Jahren hat Leiharbeit einen Boom erlebt. Gegenwärtig sind mehr als 800.000 Beschäftigte in der Leiharbeit deutschlandweit tätig. Die Statistik der Bundesagentur für Arbeit zeigt für die Gesamtwirtschaft, dass diese Arbeitsverhältnisse sehr kurze Laufzeiten haben. So wurden 2014 über 600.000 Leiharbeitsverhältnisse beendet, davon über 330.000 nach einer Laufzeit von weniger als 3 Monaten.


[1] Die Initiative „Neue Soziale Marktwirtschaft“ hat eine Anzeigenkampagne gestartet, die Werkverträge als „gute Arbeit“ mit guten Einkommen darstellen will. www.insm.de/insm/kampagne/werkvertraege-und-zeitarbeit/werkvertraege-sind-gute-arbeit.html

LeiharbeitstabelleBundesagentur für Arbeit

Demgegenüber scheint Leiharbeit in der Automobilindustrie eher durch Langfristigkeit geprägt zu sein. Die Einsatzbereiche von Leiharbeit und auch von Werkverträgen reichen von klassischen Montagetätigkeiten über indirekte Tätigkeiten im Werkschutz und in Kantinen bis hin zu komplexen Entwicklungstätigkeiten. Entsprechend groß ist auch das Spektrum der Qualifikationen der Beschäftigten.

Grafik Beendete LeiharbeitsverhältnisseBundesagentur für Arbeit

Die IG Metall konnte schon vor einiger Zeit wichtige tarifliche Regulierungen für Leiharbeiter durchsetzen. Seit 2012 ermöglicht ein Branchenzuschlag den in der Metallindustrie eingesetzten Leiharbeitern ein Einkommensplus. Nach einem sechswöchigen Einsatz in einem Betrieb ist erstmalig ein Zuschlag um 15 Prozent gegenüber den DGB- und BAP/IGZ-Tarifverträgen zur Leiharbeit vorgesehen. Dieser Branchenzuschlag steigt mit zunehmender Einsatzzeit an und erreicht nach neun Monaten 50 Prozent.

Hinzu kommt der ebenfalls 2012 in Baden-Württemberg ausgehandelte Tarifvertrag, der die Einsatzbedingungen von Leiharbeit regelt. Der Grundgedanke ist es, auf Betriebsebene konkrete Vereinbarungen zu erlangen. So sollen insbesondere

  • Einsatzzweck, Einsatzbereich und Volumen,
  • die Höhe der Vergütung,
  • die Höchstdauer des Einsatzes
  • und Übernahmeregeln

gestaltet werden. Gelingt keine solche Vereinbarung, so sieht der Tarifvertrag eine Übernahme nach 24 Monaten vor. Tatsächlich ist der Einsatz von Leiharbeitern in den Produktionsbereichen der Automobilindustrie oft über entsprechende Betriebsvereinbarungen geregelt.

Hingegen ist der insbesondere in den Entwicklungsbereichen dominierende Einsatz von Werkvertragsbeschäftigten noch weitgehend ungeregelt. Die Unternehmen bewegen sich bei sehr vielen Werkverträgen in einem juristischen Graubereich, weil die Grenzen zwischen Werkverträgen und illegaler Arbeitnehmerüberlassung häufig fließend sind.

Bei Porsche in Zuffenhausen und Weissach ist es 2015 gelungen in einer Betriebsvereinbarung den Einsatz von Werkverträgen verbindlich zu regeln. In strategischen Planungsgesprächen entscheiden Arbeitgeber und Betriebsrat regelmäßig über die Vergabe von Werk- und Dienstverträgen. Die Einhaltung der verabredeten Sozialstandards wird in einer paritätisch besetzten Arbeitsgruppe überwacht, um Tarifflucht zu verhindern. Neben den verabredeten 10,50 Euro in der Stunde, die auf dem Porsche-Gelände eingesetzte Fremd-Beschäftigte mindestens erhalten müssen, ist die Vereinbarung vor allem wegen der „erweiterten Mitbestimmung“ von Bedeutung.

Auseinandersetzungen um Kernfunktionen der Automobilindustrie

Die aufgezählten tariflichen und betrieblichen Regelungen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass in einer Gesamtsicht prekäre Beschäftigungsformen weiterhin auf dem Vormarsch sind bzw. arbeitgeberseitig mit ihnen gedroht wird. Am 24. September 2015 führte die IG Metall deshalb an den großen Automobilstandorten einen Aktionstag gegen den Missbrauch von Werkverträgen und Leiharbeit durch.


Forderungen des Stuttgarter Appells

  • kein Einsatz von Leiharbeitnehmern bei dauerhaftem Beschäftigungsbedarf
  • Begründung eines festen Arbeitsverhältnisses mit dem Einsatzbetrieb bei Scheinwerkverträgen und Einsatz von Leiharbeitnehmern auf Dauerarbeitsplätzen
  • „Gleiche Arbeit – gleiches Geld“ für Leiharbeitnehmer ab dem ersten Einsatztag
  • Erweiterung der Mitbestimmungsrechte von Betriebsräten bei Werkverträgen
  • Bei Leiharbeit keine Kopplung des Arbeitsvertrages mit der Einsatzdauer im Entleihbetrieb (Wiedereinführung des Synchronisationsverbots)

Am Daimler Standort in Sindelfingen fand dieser Aktionstag seine Zuspitzung in der Forderung, die werksinterne Logistik und die Kantinen vor Fremdvergaben zu schützen. Die stark vom Automobil geprägte IG Metall Stuttgart hat in einem Appell Forderungen formuliert, der von mehreren tausend Beschäftigten durch ihre Unterschrift unterstützt wurde.

Nützen die Vorschläge aus Berlin?

Der Referentenentwurf orientiert sich im Wesentlichen an den Vorgaben des Koalitionsvertrags. Zu beachten ist dabei, dass die Verabredungen zu Werkverträgen im Vergleich zur Leiharbeit weniger umfassend sind.

Im Zusammenhang mit Werkverträgen haben SPD und CDU/CSU 2013 verabredet, die von der Rechtsprechung entwickelten Informationsrechte des Betriebsrates und die Abgrenzungskriterien zwischen Leiharbeit und Werkverträgen gesetzlich festzuschreiben. Dies stellt zwar objektiv keine Verbesserung der Rechtslage dar, hilft Betriebsräten und Arbeitnehmern aber, die bestehenden Rechte besser zu erkennen. Zudem wurde erfreulicherweise verabredet, dass Arbeitgeber sich bei der Aufdeckung von Schein-Werkverträgen nicht mehr darauf berufen können, dass es sich stattdessen um legale Leiharbeit handele. Bei einem Missbrauch soll zukünftig Anspruch auf ein Arbeitsverhältnis mit dem Einsatzbetrieb bestehen. Diese Absichten finden sich auch im Referentenentwurf.

Hinsichtlich Leiharbeit ist im Koalitionsvertrag vereinbart, diese auf ihre Kernfunktion zu beschränken und die Überlassungsdauer auf 18 Monate zu begrenzen. Unter einer gesellschaftlich akzeptierten Kernfunktion kann weder Lohndumping noch eine betriebliche Zweiklassengesellschaft verstanden werden. Akzeptierte Zwecke können der Ausgleich vorübergehender Auftragsspitzen oder Krankheitsvertretungen sein.

Weiterhin wurde verabredet, den Einsatz von Leiharbeitern als Streikbrecher zu verbieten und nach neun Monaten soll der Anspruch auf das gleiche Arbeitsentgelt (Equal Pay) bestehen. Die in einigen Branchen durchgesetzten Tarifverträge sollen erhalten bleiben und die gesetzlichen Bestimmungen ergänzen. Diese Maßnahmen sind richtig, aber in der Summe unzureichend.

Fortgesetzter Missbrauch als Dauerzustand?

Die politisch und rechtlich höchst umstrittene Frage, ob der Einsatz auf Dauerarbeitsplätzen untersagt werden soll, wurde im Koalitionsvertrag nicht zweifelsfrei geklärt. Der Referentenentwurf nimmt den einzelnen Leiharbeiter als Ausgangspunkt der Betrachtung und nicht den Arbeitsplatz. Diese Unterscheidung ist folgenreich.

Unternehmen setzen heutzutage darauf mit Leiharbeit dauerhaft zu produzieren. Zwar ist es Gewerkschaften und Betriebsräten in gut organisierten Betrieben gelungen, die Leiharbeit durch Höchstquoten zu begrenzen und höhere Entgelte durchzusetzen. Die betriebliche Realität sieht aber bislang so aus, dass Leiharbeiter nacheinander bei mehreren Verleihfirmen, aber immer im gleichen Einsatzbetrieb tätig sind. Statt einer Festeinstellung im Einsatzbetrieb, verweisen die Personalabteilungen die Beschäftigten an die nächste Leiharbeitsfirma. Die Beschäftigungsdauer entsprechender Leiharbeiter beträgt heute oftmals 5 Jahr.

So lange Einsatzzeiten wären künftig zwar nicht mehr möglich. Da der Referentenentwurf sich aber am Leiharbeiter und nicht am Arbeitsplatz ausrichtet, wird diese nicht auf den vorübergehenden Bedarf beschränkt. Es muss sich lediglich alle 18 Monate das „Leiharbeiterkarussell“ neu drehen. Die Ersetzung von Stammbeschäftigten wäre weiterhin möglich, ein Arbeitsvertrag beim Einsatzbetrieb ist nicht vorgesehen.

Solange Leiharbeit in der Automobilindustrie jedoch der Normalzustand ist, ist das Arbeitsvolumen dauerhaft vorhanden und nicht bloß vorübergehend. Mehr Festeinstellungen statt Leiharbeit lautet deshalb das Gebot der Stunde! Die überdurchschnittlichen Renditen der Unternehmen zeigen, dass diese finanzierbar sind.

Die Auseinandersetzung rund um prekäre Arbeit geht weiter

Das Vorhaben des Arbeitsministeriums eröffnet die Chance, prekäre Arbeitsverhältnisse zurückzudrängen. Leider wurde der bestehende Spielraum beim Arbeitsplatzbezug nicht genutzt.

In den anstehenden parlamentarischen Beratungen muss deshalb versucht werden, Verbesserungen durchzusetzen. Dabei müssen die Möglichkeiten in der Großen Koalition realistisch eingeschätzt werden. Interessant ist eine leichte Verschiebung in der Wertung der Gesetzespläne über den Jahreswechsel. Während die CDU zunächst eine starke Ablehnung gegenüber einer Re-Regulierung deutlich machte, lässt folgende Meldung des Handelsblatts vom 15. Januar aufhorchen: „Merkel unterstützt strenge Regeln für Werkverträge. Kanzlerin verspricht den Gewerkschaften schnelle Lösung“.

Die Gewerkschaften werden in der Gesellschafts-, Tarif- und Betriebspolitik ihr Engagement in der Auseinandersetzung um Leiharbeit und Werkverträge verstetigen. In der Automobilindustrie gehört dazu auch der Kampf um die Reichweite der Tarifverträge entlang der Wertschöpfungskette. Die Trends der digitalen Vernetzung und des autonomen Fahrens verdeutlichen die Herausforderungen der Branche. Deren Bewältigung gelingt nur mit Belegschaften, die nicht permanent von Fremdvergaben und Auslagerungen betroffen sind.

 

Kai Burmeister ist Gewerkschaftssekretär im Team Tarif- und Betriebspolitik der IG Metall Bezirksleitung Baden-Württemberg .

Der Beitrag ist am 2. Februar 2016 im Magazin „Gegenblende“ erschienen.