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Gastbeitrag zum Transatlantischen Freihandelsabkommen von Klaus Barthel, MdB

Veröffentlicht am 24. März 2014
Klaus Barthel, MdB

Klaus Barthel, MdB

Gastbeitrag des Afa-Vorsitzenden Klaus Barthel, MdB

 

Geschichte des Freihandels und der Sozialdemokratie

Der Ursprung des Freihandels in Europa liegt in der britischen Stadt Manchester. 1840 kämpfte dort die „Anti Corn Law League“ unter Richard Cobden und John Bright gegen die Getreidezölle, die  im Interesse der Großgrundbesitzer die Lebenshaltungskosten der Arbeiter in die Höhe trieben. Im politischen Meinungskampf steht der Begriff „Manchestertum“ heute für viele als Synonym für einen unsozialen Marktliberalismus, jedoch war die Anti Corn Law League eine Massenbewegung,  die auch die Arbeiterschaft in den Städten in großem Umfang zu ihren Unterstützern zählte und die sich für die Linderung der Not der Arbeiter einsetzte.

In Engels Vorwort „Schutzzoll und Freihandel“ zu Marxs „Rede über die Frage des Freihandels“, verglich Engels den Schutzzoll mit einer Schraube ohne Ende, bei der man nie wisse, wann man mit ihr fertig sei. Weiterhin beschreibt er seine Unterhaltung mit einem amerikanischen Schutzzöllner, dem er versicherte: „Wenn Amerika Freihandel einführt, so bin ich überzeugt, daß es in zehn Jahren England auf dem Weltmarkt schlagen wird.“Dass dies einen gewissen Wahrheitsgehalt hat, kann heute niemand mehr abstreiten.

Historisch gesehen war auch die Sozialdemokratie gegen den Protektionismus und lehnte Außenzölle ab. Schutzzölle bedeuteten auf jeden Fall Verteuerung der Lebenshaltung und dienten der Kartell- und Monopolbildung. Deswegen zogen die meisten Sozialdemokraten den Freihandel vor.

Transatlantisches Freihandelsabkommen

Im Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU (Transatlantic Trade and Investment Partnership , kurz TTIP) geht es jedoch viel weniger um die Reduzierung von Zöllen, also tarifären Handelshemmnissen, als um gemeinsame Standards, also die Harmonisierung nicht-tarifärer Handelsbarrieren. Zölle sind im transatlantischen Handel schon jetzt kein großes Hemmnis mehr. So beträgt der durchschnittliche Zollsatz bis auf einzelne Gebiete (wie für die EU Landwirtschaft und für Amerika Textilwirtschaft) nur noch 3,5 Prozent.

Wesentlich wichtiger ist aber die geplante Öffnung der Infrastruktur-, Dienstleistungs- und Beschaffungsmärkte, die sowohl in der EU wie in den USA zahlreichen Reglementierungen unterliegen (kommunale Daseinsvorsorge, „buy american“, Gesundheit, Kultur, Bildung…).

Die Effekte einer Harmonisierung von Standards sind sehr viel schwerer einzuschätzen als es die (historische) Reduzierung von (Schutz-)zöllen war. Auch ist davon auszugehen, dass es vorrangig nicht um Harmonisierung von Standards, auch mit der Möglichkeit qualitativer Verbesserungen geht, sondern um die gegenseitige Anerkennung jeweiliger Standards, was im Ergebnis auf die faktische Durchsetzung des jeweils niedrigsten Niveaus hinausläuft.

Auswirkungen auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt

Auf europäischer Ebene hat das Centre for Economic Policy Research (CEPR) im Auftrag der EU-Kommission, auf deutscher Ebene das ifo Institut München zum einem im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft, sowie zum anderen im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung die Dimensionen und Auswirkungen eines Freihandelsabkommen untersucht. Dabei werden in den Studien Szenarien unterschiedlich starker Liberalisierung betrachtet.

Zu den Auswirkungen des Abkommens auf die Arbeitsmärkte sagt das ifo Institut, je nach Liberalisierungsgrad 18.000 bis 110.00 neue Arbeitsplätze in Deutschland voraus, bis zu 400.000 neue Arbeitsplätze in Europa. Auch in den Vereinigten Staaten würde die Beschäftigung zunehmen. Gleichzeitig werde die durchschnittliche Produktivität steigen, was zu einem Anstieg der Wertschöpfung führen würde. Bei umfassenden Liberalisierungen könne das reale Einkommen in den EU – Mitgliedsländern zwischen 2,6 und 9,7 Prozent ansteigen, in den USA sogar noch deutlicher. Zu beachten sind dabei sogenannte Reallokationseffekte, beschrieben als Umwandlung von in der Regel unsicheren Arbeitsplätzen zu Jobs in größeren Unternehmen. Damit ist gemeint, dass größere mittelständische und exportstarke  Unternehmen  zu Lasten kleinerer, vermeintlich ineffektiverer Unternehmen, die nicht exportfähig sind, erstarken.

Allerdings wird in der Studie auch erwähnt, dass es in Drittländern zu Wachstumseinbußen und einem Anstieg der Arbeitslosigkeit führen würde, denn die Intensivierung der Handelsbeziehungen zwischen USA und EU führe zu weniger Importen dieser Volkswirtschaften aus dem Rest der Welt. Wenn das Handelsabkommen also rein bilateral wirkt, dann  wären Wohlfahrtseinbußen dieser Länder beträchtlich. Etwas unspezifischer hält sich die CEPR-Studie in ihren Prognosen für die Arbeitsmärkte. Es werde erwartet, dass Löhne um 0.5 % steigen. Reallokation der Arbeitsplätze hin zu exportfähigen Firmen wird bestätigt, was die CEPR-Studie jedoch auf die Schaffung einer nachhaltigeren Basis an Arbeitsplätzen schließen lässt.

Vorsicht bei Studien

Generell müssen derartige Studien mit Vorsicht genossen und genutzt werden, denn Modelle können sich stark von der Wirklichkeit unterscheiden. Als Beispiel hierfür kann das Nordamerikanische Freihandelsabkommen (NAFTA) gelten, das 1994 mit großen Erwartungen auf Wirtschaftswachstum und Schaffung neuer Arbeitsplätze zwischen den USA, Mexiko und Kanada abgeschlossen wurde. Diese optimistischen Prognosen haben sich nicht erfüllt. Das Handelsvolumen hat zwar zugenommen, jedoch hat die Armut in Mexiko zugenommen, Arbeitsplätze wurden sowohl in den USA als auch in Mexiko zerstört.
Auch beziehen sich die Berechnungen oft auf lange Zeiträume. Von den 0,5 Prozent Wachstumszuwachs durch die sinkenden Kosten durch den Wegfall von bisherigen Prüf- und Genehmigungsverfahren und Produktionsvorgaben, die von CEPR bis zum Jahre 2027 gerechnet wurden, bleibt in diesem Rechenmodell ein jährliches zusätzliches Wachstum von gerade einmal 0,034 Prozent.

Arbeitsschutz

Quantität und Qualität der Arbeit hängen untrennbar zusammen. Zu recht wurden von vielen Seiten Bedenken zu Arbeitsschutzrechten geäußert.

Probleme, die sich bei einer Harmonisierung von Standards ergeben können, können schon allein anhand der Kernarbeitsnormen der internationalen Arbeiterorganisation (ILO) erkannt werden, die als internationale Sozialstandards gelten.  Als eines der einzigen Mitgliedsländer der ILO haben die Vereinigten Staaten nur zwei der acht Kernübereinkommen ratifiziert. Neben Deutschland haben auch die anderen EU Staaten alle dieser Abkommen ratifiziert. Welche Auswirkungen diese starken Unterschiede in grundlegenden Arbeits- und Sozialstandards haben kann, kann wiederum anhand von NAFTA veranschaulicht werden. Die  drei Vertragspartner vereinbarten eine Orientierung an den ILO Standards, jedoch verpflichteten sich die Staaten, den jeweiligen Rechtszustand in den anderen Staaten anzuerkennen. Das kommt einseitig den USA zugute. Die meisten und wichtigsten Kernnormen, wie  das Recht der Beschäftigten zur Gewerkschaftsbildung , Gesundheits- und Sicherheitsschutz am Arbeitsplatz, Recht auf bezahlten Urlaub, Mindeststandards für soziale Sicherheit und viele andere mehr, sind somit nicht ratifiziert. Beschwerden wegen Verletzung von Arbeitsrechten bleiben ergebnislos. In den USA wie in Mexiko führte das  zu einem Druck auf Löhne und Arbeitsbedingungen , wodurch die Löhne  auf ein niedrigeres Niveau als 1994 gedrückt wurden , die Einkommensunterschiede sich verschärften und die Armutsrate in Mexiko stieg. Freihandel mit Ländern, die Arbeitnehmerrechte einschränken wie die USA und in denen soziale Mindeststandards fehlen, kann per se nicht fair sein und führt zwangsläufig zu Dumpingprozessen.

Schlussfolgerungen

Eine solche Logik darf sich nicht auch in Europa entwickeln. Wie Engels damals Schutzzölle mit einer nicht enden wollenden Schraube verglich, so müssen wir heute aufpassen, dass Liberalisierung nicht eben zu genau so einer endlosen Schraube wird. Der bisherige Liberalisierungsansatz stößt nicht nur in der EU (Dienstleistungs-, Konzessionsrichtlinie) und bei der Welthandelsorganisation (WTO) an Grenzen, sondern auch bei bilateralen Abkommen.

Von einem europäischen Handelsabkommen mit den USA können positive Wohlfahrtseffekte ausgehen. Freien Handel kann es aber nur auf der Grundlage gesicherter arbeitsrechtlicher, sozialer und ökologischer Regeln und Standards geben. Das muss auch eine Lehre aus der Krise in Europa sein, bei der Lohnkonkurrenz und ungleiche Wettbewerbsbedingungen bei Steuer- und Sozialstaatlichkeit die Ungleichgewichte enorm verschärft haben. Sowohl die USA als auch Europa haben hier noch einen steilen Weg vor sich.

Wir wollen keinen wie schon im 19. Jahrhundert von Lassalle gefürchteten Nachtwächterstaat, der sich der Wirtschaft unterordnet, insbesondere nicht mit der Möglichkeit von Unternehmen gegen Staaten zu klagen (Investorenschutzabkommen). Jedoch können und sollten wirtschaftliche sowie politische Vorteile, die aus einem richtig verhandelten Abkommen erwachsen können,  ausgelotet werden. Ist es reine Utopie, Freihandelsabkommen als Hebel zu nutzen, um der reinen Kapitallogik und der freien Märkte Regeln vorzugeben, die konkret die Einkommen, den sozialen Schutz und den der Verbraucher verbessern? Ist es Utopie, in diesem Sinne auch die Ökologie und den Datenschutz auf möglichst großer und wirksamer Ebene voranzubringen?

Im Moment sieht es danach aus, dass die weitgesteckten Ziele – sollten sie jemals ernst gemeint gewesen sein – bei weitem verfehlt werden, und die Gefahren nicht gebannt werden. Wenn es dabei bleibt, müssen wir TTIP verhindern – nicht mit dem Ziel, sich wieder hinter nationale Schranken zurückzuziehen, sondern um den Weg für eine neue Weltwirtschafts- und Sozialordnung frei zu machen.