Bericht Gerechtigkeitskonferenz DL 21 Baden-Württemberg – SPD-Linke fordert Fokus auf Verteilungsgerechtigkeit
Am 11. Mai trafen sich über 60 linke Genossinnen und Genossen und interessierte Teilnehmer*innen in Stuttgart Heslach, um in einer Auftaktkonferenz über die gesellschaftliche Grundnorm „Gerechtigkeit“ zu diskutieren. Als Referent*innen hatte die DL21 Baden-Württemberg den Ökonom Prof. Dr. Hagen Krämer, den Sozialethiker Dr. Friedhelm Hengsbach und Dr. Herta Däubler-Gmelin, Justizministerin a.D. eingeladen.
Prof. Dr. Hagen Krämer macht in seinem Input deutlich, wie sich die Verteilung von Einkommen und Vermögen in Deutschland konkret gestaltet. Die obersten 10% der Bevölkerung besitzen nicht nur 2/3 des gesamten privaten Vermögens, ihr Vermögen stieg sogar im Zeitraum von 1995-2007 um 10%. Im gleichen Zeitraum verloren die anderen 90% an Einkommen und Vermögen. Dies stelle eine klare Umverteilung von unten nach oben dar. Während in früher Zeiten alle von wirtschaftlich starken Zeiten profitiert hätten, sei dies heute anders. Aufstieg sei schwierig. „Heute erheben sich nur die Jachten, selbst bei Ebbe“, so Prof. Dr. Hagen Krämer. Nicht ohne Grund belege Deutschland im OECD-Ranking der Ungleichheit den 3. Platz. Neben den wirtschaftlichen Folgen dieser Entwicklung, wie die höhere Krisenanfälligkeit oder die Überschuldung von einkommensschwachen Haushalten, wies Krämer auch auf die demokratischen Folgen hin. Die Zahl der Wahlenthaltung steigt, politischer Extremismus erfährt neuen Aufschwung und es kommt zu einem De-Motivationseffekt von Normalverdiener*innen. Durch die starke Vermögenskonzentration haben auch Erbschaften eine wachsende Bedeutung im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt erfahren. Es drohe der Wandel von einer leistungsbasierten Gesellschaft in eine patrimoniale Gesellschaft, in der das Erbe der Eltern wichtiger sei, als die eigene Leistung. Zum Abschluss seiner Ausführungen stellte Prof. Dr. Hagen Krämer die Frage, ab wann Ungleichheit ein Problem darstelle. Darauf könne es unterschiedliche Antworten geben. Fakt sei aber, dass 92% der deutschen Bevölkerung der Meinung sind, dass die Einkommens- und Vermögensunterschiede zu groß sind. Gerade die SPD-Wähler*innen empfänden die ungleiche Einkommens- und Vermögensverteilung als sehr ungerecht, dennoch widme sich die SPD diesem Thema nicht konsequent oder enttäusche die Erwartungen ihrer eigenen Wähler*innen, wie aktuell bei der Debatte um die Erbschaftssteuer. Die SPD müsse die Fragen der Verteilungsgerechtigkeit wieder zu ihrem Markenkern machen.
Daran anknüpfend stellte die ehemalige Justizministerin Dr. Herta Däubler-Gmelin treffend fest: „Eine Partei, die die Erwartungen der Menschen an sie nicht erfüllt, schrumpft“. So schrumpfe sich die SPD seit Jahren immer weiter selbst zusammen. Die Ursache hierfür werde zwar auch in Umfragen immer wieder deutlich, ändere aber nichts am Kurs der Parteiführung – weder im Bund noch im Land. Während die Mitglieder von der Partei erwarten an den Wert Gerechtigkeit anzuknüpfen und stärker herauszustellen, erwarte die Parteiführung von ihren Mitgliedern eigene „Erfolge“ besser zu kommunizieren, als ob das Grundproblem in der Kommunikation liegen würde. Däubler-Gmelin forderte stattdessen einen Abgleich der Realität mit den Werten der SPD. Die SPD könne nicht so tun, als ob es die große Ungleichheit in der Realität nicht gäbe, sondern müsse sie feststellen und mit ihrem Anspruch auf eine gerechte Gesellschaft verbinden und den öffentlichen Diskurs darüber suchen. Gerade die Hochvermögenden müssten endlich ihren Beitrag zur gesamtgesellschaftlichen Entwicklung beitragen. Die SPD solle aufhören so zu tun, als müsse man beständig zwischen dem Abbau von sozialen Leistung und der Aufnahme neuer Schulden entscheiden, wenn es doch eine klare und gerechtere Alternative gäbe.
Dr. Friedhelm Hengsbach näherte sich dem Begriff der Gerechtigkeit als „Gleichheitsvermutung“. Alle Menschen besäßen die gleichen Rechte und Pflichten und hätten damit auch das Recht als Gleiche anerkannt und behandelt zu werden. So müsse auch die Verteilung von Einkommen und Vermögen zumindest verhältnismäßig gleich sein. Hensgbach benannte in diesem Zusammenhang die Forderung nach „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“. Dass diese eingefordert werden müsse und nicht selbstverständlich sei, störe das Gerechtigkeitsempfinden der Menschen erheblich. In unserer Gesellschaft würden jedoch zu oft Handlungen honoriert, die dem Gemeinwohl schaden, anstatt Tugenden auf denen sich eine gerechtere Gesellschaft aufbauen ließe.
Den Inputs der Referent*innen schloss sich eine lebhafte Diskussion mit den Teilnehmer*innen an. Einig war man sich daran, dass die SPD die Verteilungsgerechtigkeit wieder glaubhaft zu ihrem Markenkern machen müsse. Auch diejenigen, die eine andere Ausrichtung der Partei anstreben würden, müssten sich der Tatsache stellen, dass sie damit die Sozialdemokratie in die Bedeutungslosigkeit führen. Neben den konkreten Forderungen nach einer stärkeren Einkommens- und Vermögensbesteuerung, wurden weitere Forderungen anschließend in Arbeitsgruppen eingebracht. Die DL 21 Baden-Württemberg wird ihren Arbeitsschwerpunkt „Verteilungsgerechtigkeit“ nun in den Regionen weiter diskutieren.