Gastbeitrag von Hilde Mattheis in der FRankfurter Rundschau, erschienen 16. Januar 2015
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Die Freihandelsabkommen brauchen keine gesonderte Gerichtsbarkeit. Es geht auch ohne die strittigen Schiedsverfahren.
Die Debatte um die Freihandelsabkommen TTIP zwischen der Europäischen Union und den USA und CETA zwischen der EU und Kanada wird eine der beherrschenden politischen Themen in diesem Jahr werden. In den vergangenen Monaten wurde schon an verschiedenen Stellen deutlich gemacht, warum die Freihandelsabkommen in der derzeitigen Form nicht zustimmungsfähig sind. Eine der vielen Baustellen ist der Investorenschutz und besonders die Investor-Staat-Schiedsverfahren (ISDS), die im CETA-Entwurf enthalten sind, aber vom SPD-Parteikonvent im September 2014 „in jedem Fall“ abgelehnt wurden. Es ist ein politischer Erfolg für alle kritischen Stimmen innerhalb der SPD und für die zahlreichen engagierten Bürgerinnen und Bürger sowie NGOs, dass die Europäische Kommission und die Bundesregierung daran arbeiten, den Investorenschutz zu reformieren und für CETA einen nach eigenen Aussagen „modernen“ Investorenschutz verhandeln. Doch die Reformen reichen nicht aus. Auch der reformierte Investorenschutz in CETA ist so nicht zustimmungsfähig.
Statt nun weiter an einem fehlerhaften System rumzudoktoren, das in der Öffentlichkeit jede Glaubwürdigkeit verloren hat und nicht mehr zu retten ist, sollte sich die Kommission mit Unterstützung der Bundesregierung auf den Weg machen, neue, andere Wege auszuloten, um Streitschlichtungsmechanismen innerhalb von Freihandelsabkommen zu verankern.
Die erste Möglichkeit wäre, die Schiedsverfahren komplett aus den Freihandelsabkommen zu streichen. Für diesen Weg gibt es das Vorbild eines Freihandelsabkommens zwischen USA und Australien. Dieses wäre durchaus vergleichbar, denn auch bei diesen beiden Ländern handelt es sich wie bei CETA und TTIP um gut funktionierende Rechtssysteme, die eine gesonderte Gerichtsbarkeit nicht benötigen, denn Investoren – inländische wie ausländische – können vor ordentlichen nationalen Gerichten klagen. Verschiedentlich ist von Wirtschaftsvertretern zu hören, dass das Justizsystem in den USA für Ausländer alles andere als ordentlich funktionieren würde und sie daher unbedingt eine gesonderte, „neutrale“ Justiz bräuchten. Dass den TTIP- und Investorenschutzkritikern teilweise von den gleichen Stimmen der Vorwurf des Antiamerikanismus entgegenschallt, ist dabei eine besondere Form der Dialektik.
Wenn wir uns darauf verständigen, das amerikanische und europäische Gerichtssystem als grundsätzlich funktionierend zu betrachten, wird ISDS überflüssig. Dennoch hat die Europäische Kommission die Möglichkeit des Streichens bisher anscheinend nicht ernsthaft ins Auge gefasst. Der Grund dafür liegt womöglich in der Vorbildfunktion, die TTIP für andere Freihandelsabkommen weltweit haben soll. Der Druck bei zukünftigen Freihandelsabkommen TTIP nachzufeiern ist sehr viel geringer, wenn das transatlantische Abkommen keinen Investorenschutz enthält, der aber in Verhandlung mit anderen Ländern notwendig werden könnte.
Die andere Option ist, einen grundsätzlich anderen Investorenschutz zu verhandeln. Ein Kritikpunkt ist, dass mit privaten Schiedsgerichten eine Paralleljustiz eröffnet wird, die die ordentlichen Gerichte schwächt. Es ist daher überlegenswert, ob auch für den Investitionsschutz ein ordentliches Gericht geschaffen wird, also eine Art internationales Handelsgericht. Die Welthandelsorganisation verfügt zwar bereits über Mechanismen zur Streitbeilegung und mit dem „Dispute Settlement Body“ auch über ein Organ zur Rechtsprechung, allerdings handelt es sich dabei nicht um ein formelles Gericht mit ordentlichen Richtern.
Die dritte Möglichkeit ist die Nutzung eines schon bestehenden supranationalen Gerichtes, welches für Investitionsstreitigkeiten zuständig sein soll. Der Bremer Rechtswissenschaftler Andreas Fischer-Lescano, der bereits in einem Gutachten zur Verfassungsmäßigkeit von CETA Mängel an den bestehenden Investitionsschutzregeln aufzeigte, hat kürzlich dazu angeregt, die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) stärker in den Blick zu nehmen, die Eigentumsschutz – und um diesen geht es beim Schutz von Investitionen – ebenfalls kodifiziert hat. Die EMRK haben alle Mitglieder des Europarates unterzeichnet und sich in Folge der Gerichtsbarkeit des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte unterworfen. Auch vor diesem Gerichtshof besteht also die Möglichkeit, direkte oder indirekte Enteignungen oder alle anderen Maßnahmen, die das Recht am Eigentum beschneiden, einzuklagen. Mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wäre gesichert, dass es sich um ordentliche und erfahrene Richter handelt, die mit einem solchen Fall betraut würden. Außerdem eröffnet es die Möglichkeit, eine ausgewogenere Abwägung zwischen dem Schutz des Eigentums und sozialen, gesamtgesellschaftlichen Interessen zu erzielen, da der Gerichtshof einen umfassenderen Blick auf die verschiedenen Rechtsgüter wirft als dies einem Schiedsgericht möglich ist.
All diese Vorschläge müssen natürlich diskutiert und abgewogen werden. Der bisher in den Abkommen vorgesehene Investitionsschutz muss abgelehnt werden. Die 150 000 Einreichungen zur Reform dieses Systems, die die Europäische Kommission im Rahmen ihres Konsultationsverfahrens erreicht haben, beweisen dies eindrucksvoll. Es ist spätestens jetzt an der Zeit, sowohl bei CETA als auch bei TTIP die Bremse zu ziehen und die Abkommen dafür zu nutzen, den Investitionsschutz grundlegend neu zu denken.
Hilde Mattheis ist SPD-Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Forums Demokratische Linke – Die Linke in der SPD.